Kreisen um Krisen – Literaturkurs Aufführung 2022

Kreisen um Krisen – Literaturkurs Aufführung 2022

Die letze Aufführung eines Literaturkurses an der Marienschule fand im Jahr 2019 statt.
Wenn wir nun im Jahr 2022 wieder eine Aufführung erleben, dass sieht diese ganz anders aus, als
man sich das 2019 auch nur im Entferntesten hätte feststellen können. Gleich mehrere Ereignisse
fallen in diese drei Jahre, von denen man jedes Einzelne kaum für überhaupt vorstellbar
angehalten hätte; eine weltweite Pandemie, eine verheerende Flutkatastrophe und einen
verbrecherischen Krieg in Europa.
Wir wollen diese drei Themen beim „Kreisen um Krisen“ weder miteinander vergleichen noch
gegeneinander abwägen, sondern wir wollen darstellen und spiegeln, wie sie uns erreichen:
Nämlich alle zur selben Zeit, und alle auch mit unmittelbaren Auswirkungen auf unser Leben in der
Marienschule. Denn das ist vielleicht der größte Unterschied zu früheren „ Krisen“: Die Annahme,
dass derartige Ereignisse sich nur weit weg von uns ereignen und keine unmittelbaren
Auswirkungen auf die vermeintliche Sicherheit unseres Schulalltags haben. Dass sie uns hier nicht
erreichen können. Nun haben wir erlebt, dass die Schule komplett geschlossen wird, dass sie von
Wassermassen eingeschlossen und teilweise überflutet wird; dass wir SchülerInnen und Schüler
aus einem europäischen Nachbarland aufnehmen, deren Heimat durch einen Angriffskrieg zerstört
wird.
Wir wissen, dass ein Angriffskrieg mit tausenden von Toten mehr als eine „Krise“ ist. Gleiches gilt
für eine Pandemie mit Millionen von Toten. Aber genau darum steht es: Um die Frage, wie uns
diese Ereignisse erreichen und was sie mit uns machen. Wie sie unsere Sprache, unser Denken,
unser Empfinden und unser Leben prägen. Dazu wollen wir sowohl die Betroffenen zu Wort
kommen lassen als auch unser SchülerInnen und Schüler, ebenso auch das Publikum. Dabei
stellen wir fest, dass auch hier die Trennlinie zwischen „den Betroffenen“ und „uns“ nicht mehr zu
ziehen ist: Alle erleben wir diese Ereignisse und ihre Folgen am eigenen Leib – und an der eigenen
Seele.
Daher gestalten wir einen Abend, der sich sowohl in Theaterszenen als auch in Gedichten und
kreativen Formaten mit Krieg, Pandemie und Flutkatastrophe auseinandersetzt. Auszüge aus
Wolfgang Borcherts Antikriegsstück „Draußen vor der Tür“ lassen sich auf erschreckende Art und
Weise mit den Bildern aus der Ukraine oder auch mit Bildern aus dem Ahrtal assoziieren – ohne
dass wir hier das Leid der Menschen gegeneinander aufrechnen wollen, aber alle diese Bilder
prasseln auf uns ein und „machen etwas mit uns.“
Ein Mann kommt nach Deutschland.
Ein Mann flieht aus Belarus in die Ukraine und wird dort vom Krieg eingeholt.
Ein Vater möchte sich nachts in die Flut stürzen, um seine Tochter zu retten.
Eine Familie kehrt zu dem Ort zurück, an dem vor der Flutkatastrophe ihr Haus stand.
Eine Familie trauert um ein Familienmitglied, das an Corona gestorben ist.
Aber auch:
Fremde Menschen helfen anderen Menschen, ihr Haus wiederaufzubauen.
Fremde Menschen verteilen Essen und Getränke, ohne dafür Geld zu verlangen.
Menschen nehmen fremde Menschen in ihrer Wohnung auf.
Menschen entwickeln Impfstoffe und machen tausende von Überstunden, um den Klinikbetrieb
aufrechtzuerhalten.
Ein Gefühl, das uns alle bestärkt: Wir können und wir wollenden wir werden helfen. Daher spielen
wir ohne festen Eintritt zu erheben, bitten aber um Spenden an ausgewählte Organisationen.
In der Hoffnung, dass wir im nächsten Jahr wieder einen etwas „normaleren“ Abend erleben
können.

Mai / Juni 2022, MVZ