Reaktion auf die Junior-Europawahl in der MSE

Reaktion auf die Junior-Europawahl in der MSE

PDF-Version: Reaktion auf die Junior-Europawahl in der MSE

Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern, liebe Kolleginnen und Kollegen sowie Unterstütze-rinnen und Unterstützer der MSE,

die Europawahlergebnisse dürften jede Demokratin und jeden Demokraten mit Herz für ein einiges Europa irritieren und besorgen. In einigen Ländern sind fast erdrutschhafte Verluste der demokratischen Mitte an beide politischen Ränder und über jede vertretbare Grenze hinaus zu finden, gerade auch in Deutschland. Dies bereitet vielen Sorge und es werden Ängste geschürt – das gesellschaftliche Klima wird schon seit längerem rauer, unfreundlicher, aggressiver, was man an den Übergriffen auf Politikerinnen und Politiker sowie Wahlkampfhelferinnen und -helfer im Vorfeld erkennen musste. Augenscheinlich erodieren an vielen Stellen gesellschaftlich festgelegte Normen und Gepflogenheiten, wird allzu oft dem Hass das Wort geredet. Hier sind wir für unsere kommende Generation sicher kein gutes Vorbild.

Lauthals schreiend ruft nun zum Beispiel der Vorsitzende der FPÖ, Herbert Kickl, dessen rechte Partei mit über 25 % stärkste Kraft in Österreich wurde, den Begriff „Remigration“ in die tosende Menge und wird dafür gefeiert.

Und auch in deutschen Landen haben solche Kräfte Zulauf, die vor allem mit allzu einfachen Antworten auf drängende Fragen auffallen und zum Teil Positionen vertreten, die menschenverachtend und einfältig, statt zugewandt und vielfältig sind, die nicht verbinden, sondern verletzen. Hier werden Vorurteile reproduziert, Anleihen aus einer dunklen Vergangenheit mit verschwörerischem Raunen kombiniert, werden Grenzen bewusst und betont begangen und überschritten – so gerät unser gewachsener gesellschaftlicher Konsens, unser demokratischer Überbau sprachlich wie inhaltlich unter Druck. Die Demokratie mit all ihren Rechten und Freiheiten wird teilweise offen angegriffen, übrigens aus vielen extremistischen Richtungen, und es wird Zeit, dass wir tatsächlich eine wehrhafte Demokratie darstellen.

Auch die Juniorwahlen in der MSE sind natürlich ein Spiegelbild dieser oben nur grob geschilderten gesellschaftlichen Realitäten und das Wahlergebnis unserer MSE-Juniorwahl dokumentiert daher den traurigen Trend. Wir hier hätten uns vielleicht erhofft, ein gallisches, demokratisches Dorf zu sein, sind es aber nicht, eher im Gegenteil:

Die bundesdeutschen Juniorwahlergebnisse insgesamt sind schon schade (vgl. https://www.juniorwahl.de/europa-2024.html), aber unsere eigenen unterstreichen alle Sorgen noch einmal (Wahlberechtigt waren alle Jugendlichen der Stufen 9 – 11.):

Wir können und sollten uns nicht schönreden, dass das handelsübliche Provokationen sind. Das Ganze wirft vielmehr Fragen auf:

Die Wahlbeteiligung lag bei nicht einmal 47 %, wo ist die politisch und gesellschaftlich engagierte Jugend? Wo sind die nachrückenden Menschen, die sich für Ziele, für Ideen, für Ideale einsetzen? Wo ist ein Optimismus, die Welt beeinflussen zu wollen und besser zu machen?

Was können und müssen wir von Seiten der Schule anders und besser machen, um ein Bewusstsein zu schaffen, wählen zu gehen und sich zu engagieren? Hier müssen auch wir selbstkritisch Strukturen hinterfragen, vielleicht auch neue Wege finden.

Haben einige nicht recherchiert (Informationen hingen im Foyer…) und nachgedacht, wurden Programme oder Hintergründe außer Acht gelassen, ließ man sich von Parolen auf TikTok mitreißen? Ist man eher einem Trend gefolgt, mitgelaufen mit den Lauten? Oder wurde hier tatsächlich ein entsprechendes Bild von Gesellschaft und Zukunft bewusst gewählt?

Liebe Schulgemeinde, ja, wir Lehrkräfte sind zur politischen Neutralität aufgefordert und wir sind verpflichtet, uns entsprechend zurückhaltend, neutral zu äußern; genauso aber haben wir die Aufgabe, für unsere demokratischen Errungenschaften einzustehen, denn das oberste Erziehungsziel jeden Faches besteht darin, unsere Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern in sozialer Verantwortung und auf dem Fundament der demokratischen Werte zu erziehen!
Ferner sehen wir uns als Europaschule dem Austausch, dem Brückenbauen und der Vielfalt verpflichtet; wir möchten nach innen und nach außen die Hände reichen und anderen Menschen stets mit Respekt und Toleranz begegnen, uns für Frieden und Freiheit einsetzen.

Es ist völlig egal, woher man kommt bzw. welche Wurzeln wir haben, wen man liebt, wie man aussieht, ob man dick ist oder dünn, ob man mehr oder weniger Farbe aufweist oder welches Geschlecht man besitzt, es kommt ausschließlich auf den Menschen an, aufs HERZ!

Zurzeit sind unsere Freundinnen und Freunde der Partnerschule aus Griechenland zum Gegenbesuch da und es war schön zu erleben, wie herzlich sich die Jugendlichen nun wieder begrüßten und aufeinander gefreut haben.

Kürzlich waren sogar gleichzeitig Gäste aus Polen und Frankreich vor Ort und ein Höhepunkt war sicher auch ein sportliches Kräftemessen mit Freude und Fairness aller Beteiligten. Hier wurde gespielt, nicht geschossen, hier wurde gelacht und nicht verwünscht.

Das wollen und sollten wir alle, die Lehrkräfte, die Schülerinnen und Schüler sowie die Eltern unterstützen:

Was können wir nun weiter tun?

Lasst uns unsere Austausche pflegen, die wir haben, neue Partnerschaften aufbauen, wenn wir können und so phantastische, grenzenlose Erfahrungen machen und Mauern überwinden – dann lässt sich ein buntes, freundliches, aber auch wirtschaftlich starkes Europa bauen, denn vom grenzüberschreitenden Handel und Austausch profitieren alle, übrigens gerade wir Deutschen…

Lasst uns auch im Unterricht noch mehr lernen über die Chancen eines friedlichen Europas für alle, lasst uns in jedem Fach die Welt aufschließen statt Denkverboten und Doktrinen zu folgen, weil es bequemer ist.

Lasst uns hinter die Fassaden schauen, die eigene Kritikfähigkeit stärken und ein Bewusstsein entwickeln, dass Hass und Abschottung nie die Antwort auf die unbestrittenen Herausforderungen der Zeit sein können und dass jede Form eines wie auch immer gearteten Extremismus in die dunkle Sackgasse der Gewalt, der Einsamkeit und der Unterwerfung führt.

Lasst uns lieber auf dem Pausenhof, im Klassenraum, im Lehrerzimmer und auch in den heimischen Wänden für die Integration und die Inklusion Position beziehen und mit Leidenschaft das Menschsein feiern, statt mit Ausgrenzung und Abschottung Menschen auszuschließen und Leiden zu schaffen.

Die MSE beherbergt rund 30 Nationen und jede Nation, jedes Kind und jeder Jugendliche ist willkommen und ist eine Bereicherung! Das möchte ich vor allem angesichts der Tatsache betonen, dass schon mehrere Kinder heute Ängste äußerten und fragten, was denn da noch komme und die Zukunft bringe!

Ich lade hiermit noch einmal alle ein, eine wertschätzende, respektvolle und tolerante Schulgemeinschaft zu prägen und mit an einer bunten, lebendigen MSE zu arbeiten, in der der Mensch zählt. Das schaffen wir nur zusammen.

Nachdenklich, aber ebenso hoffnungsvoll grüßt euch und grüßt Sie alle

Michael Mombaur